Ich kriege es meist gar nicht so mit, dass ich anders bin, dass ich mich anders bewege.
Für mich ist ja schließlich alles normal, so wie es ist. Ich kenne es nicht anders.
Doch ab und an holt es mich dann doch wieder ein.
Zuletzt auf der Brücke am S-Bahnhof Dammtor auf dem Weg ins Cinemaxx.
Ein seltsamer Mann kam mir mit seinem Schäferhund entgegen.
Er guckte mich schon so an und als wir dann aneinander vorbei liefen, fragte er in einem extrem übertriebenen Tonfall wie zu einem
kleinen Kind (Stichwort: Niedlichkeitsfaktor): „Was ist denn mit deinem Bein?“.
Wobei er das Wort „Bein“ extra schön in die Länge zog.
Wer mich nicht kennt, muss wissen: Ich habe einen nach innen rotierten Gang, rechts wesentlich mehr als links. Zudem sind die Bewegungsabläufe beim Gehen nicht besonders flüssig.
Ich weiß das, aber oft will ich es gar nicht wissen.
Wenn ich ehrlich bin, will ich auch gar keine bewegten Aufnahmen von mir sehen. Spätestens dann bekomme ich wieder vor Augen geführt, dass ich keinen schönen Gang habe.
Auch Videos meiner Hochzeit kommenden August möchte ich mir daher ungern anschauen.
Ich bin auf der Brücke dann einfach weiter.
Es ist wie mit Kinderaugen, die dich anstarren. Passiert mir auch nicht selten.
Oft ist es so, dass sie, sobald sie mit ihren Eltern an mir vorbei sind, nicht aufhören können zu starren. Penetrant drehen sie sich ständig noch mal zu mir um und gucken mich und meine Füße an. Manche machen meine Gangart sogar nach.
Es ist störend und belästigend. Es ist kränkend.
Manchmal würde ich gern den Kindern oder auch den Eltern irgendetwas zurufen, damit sie aufhören. Aber ich habe es bisher nicht getan.
Natürlich meinen sie es nicht so. Wahrscheinlich wissen sie es nicht besser. Vermutlich sind sie mit nicht gesunden Menschen noch nie in Berührung gekommen und wurden auch nicht aufgeklärt.
Ich wünsche mir in solchen Situationen nur manchmal etwas mehr Aufmerksamkeit der Eltern.
Ihnen müsste doch auffallen, dass das Kind an ihrer Hand mehr trödelt oder sich so oft umdreht. Das muss schließlich einen Grund haben, dem man nachgehen könnte.
In meiner Wunschwelt würden die Eltern ihren Kindern erläutern, dass nunmal nicht alle Menschen gesund zur Welt kommen. Im besten Fall würden sie mich in ein Gespräch verwickeln.
Wer mich kennt weiß, dass ich gern darüber erzähle, wenn man mich nur fragt.
Also habt keine Scheu uns anzusprechen, liebe Mitmenschen.
Ich möchte diesen Eintrag jedoch mit einer positiven Erinnerung abschließen:
Vor einigen Jahren in Berlin, als ich noch mehrmals in der Woche alle möglichen kleinen Konzerte aufmischte (immer in der ersten Reihe! größen- und neugiersbedingt), kam ein guter Bekannter nach dem Konzert ziemlich entsetzt auf mich zu: „Oh mein Gott, du humpelst ja! Wenn ich den erwische, der dir das angetan hat!“
Er dachte, man hätte mich beim Pogen umgestoßen.
In Wahrheit humple ich ja immer so ein bisschen und gerade wenn ich einige Stunden stehen musste noch etwas mehr, da es für mich immer eine größere körperliche Belastung darstellt.
Meine Erkenntnis war verblüffend. Ich kannte ihn schon ein paar Jahre und wir waren nicht das erste Mal zusammen auf einem Konzert.
Das zeigte mir also, dass es ihm nie bewusst aufgefallen sein wird, dass ich anders laufe.
Viele meiner Freunde haben mir bereits gesagt, dass meine Ausstrahlung und mein Wesen sie darauf gar nicht achten lässt.
Ich muss mir das das nächste Mal ins Gedächtnis rufen, sollten wieder Kinderaugen oder komische Männer mit Schäferhunden auf mich warten.