Ich war immer Konzertmädchen, nie Clubgänger. Ich habe nie den Sinn verstanden extra loszuziehen nur um zu Musik aus Lautsprechern zu tanzen. Ich war nie der Typ sich spät um 22 Uhr auf den Weg zu machen und erst morgens nach Sonnenaufgang wieder heim zu kommen.
Konzerte geben dir viel mehr. Dein Lieblingslied live hören. Mitsingen. Zu hören, wie es hunderte oder gar tausend andere es ebenso
mitsingen. Deine Lieblingsband zum greifen nah.
Vielleicht kommt sie ursprünglich aus Amerika, aber diesen Abend heute verbringt ihr zusammen in diesem Raum. Gänsehautmomente.
Es ist einfach mit nichts zu vergleichen.
Tanzen kann ich dort genauso. Allerdings habe ich dann Erinnerungen, die meiner Meinung nach so viel mehr Gewicht haben.
Seit 15 Jahren nun schon sind Konzerte ein wichtiger Teil meines Lebens.
Zu der Zeit, als ich vor 7 Jahren meinen Freund kennen lernte, bestand mein Kleiderschrank aus ein paar wenigen Hosen, etwa zwei Paar Schuhen, einer Hand voll „normaler“ Oberteile und etwa 100 Band-Shirts.
Die meisten waren Erinnerungsstücke von Konzerten und ich konnte genau sagen bei welchem Konzert ich es gekauft hatte und was an dem Abend damals noch passiert war.
Wenn ich damals auf einem Konzert war, hatte ich immer eingeplant ein neues T-Shirt und neue Buttons als Erinnerung mitzunehmen. Nicht selten hatte ich dadurch auch die Möglichkeit mit den Bands ein paar Worte zu wechseln und Erinnerungsfotos zu machen. Für mich einfach unvergessliche Momente.
Anfangs war ich im Rollstuhl auf Konzerten und mein Vater hatte mich damals immer begleitet und uns mit unserem Familienauto gefahren.
Über die Jahre habe ich mir körperlich immer mehr zugetraut und war schließlich ohne Hilfsmittel und mit Freunden oder meinen Brüdern in Begleitung unterwegs.
Die erste Reihe war besonders in kleinen Clubs immer mein Ziel, denn ich wollte kein Hörspiel. Ich wollte stets miterleben, wie sich die Bands verausgaben und die Mitglieder untereinander agieren.
Zusätzlich bestand darin auch immer der Vorteil, dass ich mich an der Absperrung festhalten und somit absichern konnte. Absichern vor drängelnden Menschen, die mich sonst schnell aus dem Gleichgewicht bringen können. Vorteilhaft auch, um das Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern und damit eine gewisse Entlastung zu erreichen.
Manchmal haben mir nette Menschen auf den Konzerten angeboten, dass ich zu ihnen in die erste Reihe kommen kann, damit ich etwas sehe. Selbst bei einem Solokonzert von Bela B.
Ich habe so viele tolle Erinnerungen. Zu viele, um sie jetzt alle aufzuschreiben.
So wurde ich einmal mit meinem Rollstuhl vom Publikum auf die kleine Bühne zu der Band gehoben und konnte das Konzert weiter vom hinteren Bühnenrand verfolgen. Das war das Abschiedskonzert von ransom, so weit ich mich erinnere.
Oder ich erinnere mich noch gut, dass ich mit Schüttelfrost zum damaligen Abschiedskonzert von WIZO bin. Mir ging es schon den ganzen Tag nicht gut, aber es war ja schließlich das Abschiedskonzert.
Ich war zu der Zeit auf ungefähr 3 Konzerten pro Woche, oft werktags. Oftmals war ich dann erst um 3 Uhr nachts zu Hause - obwohl der Wecker wieder um 6:30 Uhr klingelte. In Berlin existiert zumindest auch in der Woche ein akzeptabler öffentlicher Nachtverkehr.
Ich habe viele namenhafte Künstler live gesehen, aber auch viele kleinere Bands unterstützt. Mein Musikgeschmack ist breit aufgestellt und ich bin neuen Künstlern gegenüber immer aufgeschlossen.
Es war einfach großartig, wenn ein neues Album einer meiner Lieblingsbands rauskam, ich auf die Tour hingefiebert habe und ich mich darauf gefreut habe die neuen Stücke endlich live zu erleben und gute alte Bekannte unter dem Publikum wiederzusehen. Eine riesengroße Familie und das pure Glück.
Seit meinem Umzug nach Hamburg hat sich dahingehend viel geändert.
Meine Prioritäten haben sich etwas verschoben.
Ich muss heutzutage nicht mehr bei jeder Tour dabei sein. Schon gar nicht, wenn ich die Band ohnehin schon mindestens 10x live erleben durfte.
Inzwischen kaufe ich mir lieber Konzertkarten für Künstler, die ich noch nicht live gesehen habe.
So war ich Mitte November bei der britischen Band Hurts und schon lange hatte ich mich nicht mehr so auf einen Konzertabend gefreut und selten hat es eine Band geschafft mich während des Abends derart zu berühren und mich nahezu sprachlos nach Hause gehen lassen.
Zum anderen ist es aber auch so, dass mir meine Konzertfreunde fehlen und mein Freund nicht grundsätzlich meinen Musikgeschmack teilt. Er kommt oft mit, manchmal aber wohl eher, um mir einen Gefallen zu tun. Beispielsweise konnte er mit Kraftklub und Jennifer Rostock nicht allzu viel anfangen - und offen gesprochen gehe ich dann lieber mit Leuten, die die Bands genauso bewundern wie ich, als dann jemanden neben mir zu haben, der den Abend kritisiert und mir somit meine Euphorie und meinen Glücksmoment nimmt.
Ja, natürlich war ich in Hamburg auch schon einmal alleine unterwegs.
Hamburg ist aber in dem Bereich so gut wie gar nicht barrierefrei.
Viele Clubs - und nicht nur die kleinen - haben beispielsweise einzelne Stufen im Innen- und Eingangsbereich und gern diverse andere Stolperfallen. Und wer hat sich eigentlich diese gigantischen Stufen in der Markthalle einfallen lassen?
Alleingänge werden mir also automatisch so gut wie verbaut.
Inzwischen besitze ich nur noch eine Hand voll Band-Shirts, aber im Herzen bin und bleibe ich immer Konzertmädchen.